Schon 2019 wurde im Mittelschiff von St. Johannis eine Inschrift entdeckt. Sie befand sich im Fundament einer Binnenmauer des monumentalen römischen Vorgängerbaus. Am 11. August legt nun das Grabungsteam die Inschrift so weit wie möglich frei. Es treten neben Schriftzeichen wunderbare Verzierungen zutage – unter anderem eine kleine Tatze, Rest eines liegenden, in Stein gehauenen Löwen. Experten datieren diese Inschrift nach vorläufigen Einschätzungen auf die Mitte des 1. Jahrhunderts – es handelt sich augenscheinlich um eine Grabsteininschrift.
Was bedeutet der Fund für St. Johannis?
Der Grabstein ist damals offensichtlich zu Baumaterial umfunktioniert worden. Jenes Gebäude befand sich jedoch inmitten einer Zivilsiedlung – heute der Standort von St. Johannis. Bestattungen innerhalb römischer Siedlungen waren nicht erlaubt. Das regelte ein Gesetz, die lex duodecim tabularum – eine um 450 v. Chr. in Rom entstandene Gesetzessammlung – das „Zwölftafelgesetz“. Es erlaubt nur in wenigen Ausnahmen Bestattungen inmitten von Siedlungen. Jene Ausnahmen treffen jedoch auf unseren Fundort nicht zu. Entsprechend muss der Grabstein von einem anderen, außerhalb der damaligen Stadt liegenden Friedhof stammen und hierher gebracht worden sein.
Zudem wurden Grabsteine in der Römerzeit erst ab dem 3. Jh. zur Wiederverwendung aus den antiken Bestattungsorten entnommen. Das lässt den Schluss zu, dass die Mauer mit der Inschrift im Fundament nicht vor dem 3. Jh. errichtet worden sein kann.
Die zentrale Lage des Monumentalbaus, seine riesige Dimension und eben auch die Wiederverwendung des Grabsteins lassen die Annahme zu, dass das Gebäude im 3. und oder 4. Jh. errichtet oder umgebaut worden war. Mainz – von den Römern «Moguntiacum» genannt – war um 300 Hauptstadt der römischen Provinz Germania Secunda.
Eine weitere Vermutung liegt nahe: Da zu jener Zeit Grabsteine nur von der «öffentlichen Hand» als Baumaterial verwendet werden durften, ist der römische Vorgängerbau von St. Johannis wohl ein öffentliches Gebäude gewesen. Seine ursprüngliche Funktion kann bisher jedoch noch nicht bestimmt werden – viel später stand hier dann eine Kathedrale.